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Medizin: Veröffentlichung in Nature Communications
Ein neuer Verdächtiger bei Chorea Huntington

Forschende des Max Delbrück Center in Berlin und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) haben mithilfe von Hirnorganoiden ein neues Gen mit dem Fortschreiten von Chorea Huntington in Verbindung gebracht. Das Gen trägt möglicherweise viel früher als bisher angenommen zu Anomalien im Gehirn bei, berichten sie in „Nature Communications“.

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Zerebrale Organoide, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen gewonnen wurden. Gesunde Organoide (links) zeigen eine organisierte neurogene Zone. Organoide, die von der Huntington-Krankheit betroffen sind (rechts) weisen dagegen eine veränderte Zellarchitektur der neuralen Vorläuferzellen (rot) und zelluläre Polaritätsdefekte (gelb) aufweisen, die in ähnlicher Weise bei menschlichen Föten mit der Huntington-Krankheit beschrieben wurden. (Bilder: HHU / Selene Lickfett)

Erstmals haben Forschende das Gen CHCHD2 mit Chorea Huntington – einer unheilbaren, genetisch bedingten neurodegenerativen Erkrankung – in Verbindung gebracht und das Gen als mögliches therapeutisches Ziel identifiziert. In einem Hirnorganoid-Modell der Erkrankung haben sie festgestellt, dass Mutationen im Huntington-Gen HTT auch CHCHD2 beeinflussen; CHCHD2 spielt eine Rolle dabei, die normale Mitochondrienfunktion aufrecht zu erhalten.

An der Studie waren sechs verschiedene Labore des Max Delbrück Center unter der Leitung von Dr. Jakob Metzger von der Arbeitsgruppe „Quantitative Stammzell-Biologie“ und die Arbeitsgruppe „Stem Cell Metabolism“ von Prof. Dr. Alessandro Prigione an der Medizinischen Fakultät der HHU beteiligt. Jedes Labor brachte sein einzigartiges Fachwissen zu Chorea Huntington, Hirnorganoiden, Stammzellenforschung und Genomeditierung ein.

„Es hat uns überrascht, dass Chorea Huntington die frühe Entwicklung des Gehirns durch Defekte, die mit mitochondrialer Fehlfunktionen zusammenhängen, beeinträchtigen kann,“ sagt Dr. Pawel Lisowski, ein Erstautor aus der Arbeitsgruppe von Dr. Metzger beim Max Delbrück Center. „Das Organoidmodell deutet darauf hin, dass HTT-Mutationen die Gehirnentwicklung noch vor dem Auftreten klinischer Symptome schädigen. Es ist also sehr wichtig, diese spät auftretende neurodegenerative Erkrankung früh zu erkennen“, führt Selene Lickfett, ebenfalls Erstautorin der Studie und Doktorandin an der HHU aus der Arbeitsgruppe von Prof. Prigione fort.

Ein Organoid ist eine dreidimensionale, organähnliche Struktur, die Forschende im Labor aus Stammzellen entwickeln. Je nach Erkrankung und Fragestellung können Organoide aus unterschiedlichen Gewebearten gezüchtet werden. Sie sind nur wenige Millimeter klein, spiegeln jedoch das Zusammenspiel mehrerer Zelltypen wider. Kein anderes Modell aus der Petrischale liefert so komplexe Daten zu Zellfunktionen im menschlichen Körper.

Bei Chorea Huntington werden im Huntington-Gen HTT die drei Buchstaben für die Nukleotide Cytosin, Adenin, Guanin (CAG) ungewöhnlich oft wiederholt. Menschen mit 35 oder weniger Wiederholungen gehören im Allgemeinen nicht zur Risikogruppe, während 36 oder mehr Wiederholungen auf die Krankheit hindeuten. „Je größer die Anzahl an Wiederholungen, desto früher treten die Symptome der Krankheit auf“, erklärt Metzger, Letztautor der Studie. Die Mutationen lassen die Nervenzellen im Gehirn nach und nach absterben. Im Laufe der Zeit erleben Betroffene, dass sie ihre Muskeln immer weniger steuern können und sie entwickeln psychiatrische Symptome wie Impulsivität, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Weltweit sind etwa fünf bis zehn von 100.000 Menschen von Chorea Huntington betroffen. Aktuell verfügbare Therapien behandeln lediglich die Symptome; sie können weder den Verlauf verlangsamen noch die Krankheit heilen.

Das Gen HTT zu editieren, ist eine Herausforderung 

Um die Auswirkungen von Mutationen im HTT-Gen auf die frühe Gehirnentwicklung zu studieren, nutzte Lisowski zuerst Varianten der CRISPR-Cas9-Geneditierungstechnik und manipulierte die DNA-Reparaturwege, um gesunde, induzierte pluripotente Stammzellen so zu modifizieren, dass sie eine große Anzahl an CAG-Wiederholungen enthielten. Dieser Prozess sei technisch herausfordernd, da Geneditierungswerkzeuge in Bereichen des Erbguts, die Sequenzwiederholungen wie die CAG-Wiederholungen in HTT enthalten, nicht effizient sind, sagt Lisowski.

Aus den genetisch veränderten Stammzellen züchteten die Forschenden dann Hirnorganoide – dreidimensionale Strukturen, die menschlichen Gehirnen in einem frühen Stadium der Entwicklung ähneln. Als sie die Genexpressionsprofile der Organoide in den verschiedenen Entwicklungsstadien analysierten, stellten sie fest, dass das CHCHD2-Gen durchgehend unterexprimiert war. Das wiederum reduzierte den Stoffwechsel der neuronalen Zellen. Bei gesunden Menschen gewährleistet CHCHD2 die Gesundheit der Mitochondrien – die Strukturen in den Zellen, die Energie produzieren. CHCHD2 wurde bisher mit Parkinson in Verbindung gebracht, aber noch nie mit Chorea Huntington.

Die Forschenden konnten die schädigende Wirkung auf die neuronalen Zellen rückgängig machen, wenn sie die Funktion des CHCHD2-Gens wiederherstellten. „Das war überraschend“, sagt Selene Lickfett. „Damit könnte dieses Gen prinzipiell ein Ziel für künftige Therapien sein.“

„Außerdem traten Defekte in neuronalen Vorläuferzellen und Hirnorganoiden auf, bevor sich potenziell toxische Aggregate des mutierten Huntingtin-Proteins gebildet hatten“, fügt Metzger hinzu. Dies deute darauf hin, dass die Pathologie im Gehirn bereits beginnt, lange bevor sie in der Klinik in Erscheinung tritt.

„Die vorherrschende Meinung ist, dass die Krankheit als Degeneration reifer Neuronen verläuft“, sagt Prigione. „Aber wenn sich die Veränderungen im Gehirn bereits früh im Leben entwickeln, müssen therapeutische Strategien möglicherweise zu viel früheren Zeitpunkten ansetzen.“

Weitreichende Implikationen

„Unsere Strategien zur Genomeditierung, vor allem, wenn sie die CAG-Wiederholungen im Huntington-Gen entfernen, sind sehr vielversprechend und konnten einige dieser Entwicklungsdefekte rückgängig machen. Das ebnet den Weg für eine potenzielle Gentherapie,“ sagt Prigione. „Ein weiterer potenzieller Ansatz für die Therapien wäre es, die CHCHD2-Genexpression zu erhöhen“, fügt er hinzu.

„Die Ergebnisse könnten auch breitere Anwendung bei anderen neurodegenerativen Krankheiten finden“, sagt Prigione. „Frühzeitige Behandlungen, die die hier gezeigten mitochondrialen Phänotypen rückgängig machen, könnten ein vielversprechender Ansatz für die Bekämpfung von altersbedingten Krankheiten wie Chorea Huntington sein.“

Originalpublikation

Pawel Lisowski, Selene Lickfett, Agnieszka Rybak-Wolf, Carmen Menacho, Stephanie Le, Tancredi Massimo Pentimalli, Sofia Notopoulou, Werner Dykstra, Daniel Oehler, Sandra Lopez-Calcerrada, Barbara Mlody, Maximilian Otto, Haijia Wu, Yasmin Richter, Philipp Roth, Ruchika Anand, Linda A. M. Kulka, David Meierhofer, Petar Glazar, Ivano Legnini, Narasimha Swamy Telugu, Tobias Hahn, Nancy Neuendorf, Duncan C. Miller, Annett Böddrich, Amin Polzin, Ertan Mayatepek, Sebastian Diecke, Heidi Olzscha, Janine Kirstein, Cristina Ugalde, Spyros Petrakis, Sidney Cambridge, Nikolaus Rajewsky, Ralf Kühn, Erich E. Wanker, Josef Priller, Jakob J. Metzger, Alessandro Prigione: „Mutant Huntingtin impairs neurodevelopment in human brain organoids through CHCHD2-mediated neurometabolic failure,“ Nature Communications (2024).

DOI: 10.1038/s41467-024-51216-w

Weitere Informationen

Max Delbrück Center:
Arbeitsgruppe Dr. Jakob Metzger

HHU:
Arbeitsgruppe Prof. Dr. Alessandro Prigione

Autor/in:
Kategorie/n: Schlagzeilen, Pressemeldungen, Medizinische Fakultät, Forschung News
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