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Biologie: Veröffentlichung in "Science Advances"
Wie Pflanzen auf Bedrohungen reagieren können

Pflanzen sind ständig widrigen Umwelteinflüssen und Angriffen wie zum Beispiel durch Schädlingsbefall ausgesetzt. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) hat nun einen zentralen Teil des Signalmechanismus beschrieben, mit dem Pflanzen auf Bedrohungen reagieren und dadurch in nicht betroffenen Teilen eine Abwehrreaktion einleiten. Welche Rolle dabei unter anderem das Protein MSL10 spielt, beschreiben sie in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Science Advances“.

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(A) Zur Messung der durch Verwundung hervorgerufenen elektrischen Signale wurden Silberelektroden auf der Oberfläche von Blattstielen der Pflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) platziert. (B) Vergrößerter Ausschnitt von zwei Blättern, die einen genetisch kodierten, fluoreszierenden Biosensor herstellen, der den zellulären Kalziumspiegel anzeigt (in Falschfarben). Die helle Färbung deutet auf einen Anstieg des Kalziumspiegels hin, der durch eine Verwundung des rechten Blattes ausgelöst wurde und sich auf das linke Blatt ausgebreitet hat. Die Platzierung der Silberdrahtelektroden auf der Oberfläche der Blattstiele (Pfeile) ermöglicht das gleichzeitige Erfassen der elektrischen Aktivität der Pflanze.

Schwankende Witterungsbedingungen, ein Wechsel zwischen Trockenheit und Regen, aber auch pflanzenfressende Insekten und Schädlinge sind tägliche Herausforderungen für Pflanzen. Schätzungen zufolge gehen weltweit jährlich allein zwischen fünf und 20 Prozent der Ernteerträge durch Insektenfraß (Herbivorie) verloren. Die Modellrechnungen lassen erwarten, dass sich dieser Trend durch die globale Erwärmung noch weiter verschärft. Sowohl aus ökonomischer Sicht als auch im Sinne der Nahrungssicherheit ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie Pflanzen auf unterschiedliche Bedrohungen reagieren und welche Abwehrstrategien sie dagegen entwickelt haben.

Ein Konsortium von Forscherinnen und Forschern aus Deutschland, der Schweiz und den USA unter Leitung von HHU-Professor Dr. Wolf B. Frommer vom Institut für Molekulare Physiologie hat nun einen zentralen Baustein entdeckt, mit dessen Hilfe Pflanzen bei Schädlingsbefall nicht verwundete Blätter „informieren“. Diese Blätter können dann beginnen, Abwehrstoffe zu produzieren, um angrenzendes Gewebe vor den Fressfeinden zu schützen. 

Das Forschungsteam konzentrierte sich auf das Leitgewebe der Pflanzen, welches Wasser und Nährstoffe zwischen der Wurzel und den oberirdischen Pflanzenteilen transportiert. Sie wollten unter anderem die lang gehegte Vermutung untersuchen, dass dieses Leitgewebe auch zur Ausbreitung von hydraulischen, chemischen und elektrischen Signalen beiträgt und dass es eine Kopplung von hydraulischer und elektrischer Signalweiterleitung gibt.

In Teilen des Leitgewebes herrscht durch den kontinuierlichen Wasserstrom ein Unterdruck. Dieser Strom wird bei einer Verwundung plötzlich unterbrochen und die Druckverhältnisse ändern sich. Die Forscher identifizierten nun einen mechanosensitiven Ionenkanal „MSL 10“, der die Dehnung der Zellmembran und damit Druckveränderungen registriert. Wenn diese Druckänderung zeitgleich mit einem Anstieg des Botenstoffs Glutamat – der ebenfalls bei Verwundungen ausgeschüttet wird – erfolgt, ist die Pflanze tatsächlich vor einer realen Wunde gewarnt. Dagegen kann eine höhere Glutamatmenge allein auch auf anderen Schwankungen beruhen. Die Druckänderung verschafft dem Glutamatanstieg also Signifikanz. Mithilfe von Oberflächenelektroden, die auf verwundete und unversehrten Blättern platziert wurden, konnte dieses elektrische Signal in Form charakteristischer Spannungskurven gemessen werden.

Ein Schlüsselexperiment war, die Bildung des MSL10-Proteins zu blockieren. Ohne MSL-10 ist das elektrische Wundsignal verkürzt, Signalmoleküle wie Kalziumionen breiten sich deutlich schlechter aus. Ebenfalls produzieren diese Pflanzen weniger Verteidigungsmoleküle gegen Fressfeinde.

Dr. Thomas Kleist und Dr. Michael Wudick von der HHU, denen eine Schlüsselrolle in dem Projekt zukam, heben hervor: „Damit gelang es unserem internationalen Team erstmals nachzuweisen, dass ein mechanosensitiver Ionenkanal, der durch eine Verwundung aktiviert wird, zur Reizweiterleitung in Pflanzen nötig ist.“

Außerdem entwickelte das Team ein Modell, das veranschaulicht, wie MSL10 mit anderen Proteinen wechselwirkt, die ebenfalls zur Signalweiterleitung beitragen. Die Forschungsergebnisse sind ein klarer Hinweis, dass die zugrunde gelegte Annahme eines Zusammenhangs zwischen elektrischer und hydraulischer Signalleitung zutrifft.

Prof. Frommer zu den weiterführenden Aspekten der jetzt in Science Advances veröffentlichten Ergebnisse: „Es ist faszinierend zu sehen, das Pflanzen ähnlich so wie Tiere und wir Menschen elektrische Signale nutzen und sogar ähnliche Komponenten beteiligt sind. Wenn wir die Wundsignalweiterleitung und die an ihr beteiligten Prozesse und Komponenten besser verstehen, können wir möglicherweise den Pflanzen helfen, Bedrohungen schneller zu erkennen und abzuwehren. Dies kann wiederum dazu beitragen, dass Ernteausfällen durch Schädlingsbefall und Insektenfraß entgegengewirkt werden kann.“

Beteiligt am Forschungsprojekt waren Institute der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und des Forschungszentrums Jülich, der University of Lausanne in der Schweiz sowie der Stanford University, der Carnegie Institution of Science und der Washington University in St. Louis in den USA. Von der HHU arbeiten allein drei Institute an dem Forschungsprojekt mit: das Institut für Molekulare Physiologie (Leitung Prof. Dr. Wolf B. Frommer), das Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie (Leitung Prof. Dr. Holger Gohlke) und die Arbeitsgruppe für Computergestützte Zellbiologie (Leitung Prof. Dr. Martin Lercher).

Originalpublikation

J. Moe-Lange, N. M. Gappel, M. Machado, M. M. Wudick, C. S. A. Sies, S. N. Schott-Verdugo, M. Bonus, S. Mishra, T. Hartwig, M. Bezrutczyk, D. Basu, E. E. Farmer, H. Gohlke, A. Malkovskiy, E. S. Haswell, M. J. Lercher, D. W. Ehrhardt, W. B. Frommer, T. J. Kleist, Interdependence of a mechanosensitive anion channel and glutamate receptors in distal wound signaling. Sci. Adv. 7, eabg4298 (2021). www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abg4298

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