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Corona im Fokus Detailansicht

Corona im Fokus: HHU-Expertise zur Pandemie
Die Rückkehr des Vertrauens?

Wissenschaft und Politik haben in der Corona-Krise verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewonnen. In seinem Gastbeitrag geht Soziologe Prof. Dr. Michael Baurmann der Frage nach, wie man diese Entwicklung auch über das Ende der Pandemie hinwegretten kann.

Prof. Dr. Michael Baurmann (Foto: Margaret Birbeck)

Zu den erstaunlichen und auch schon des Öfteren mit Erstaunen vermerkten Auswirkungen der Corona-Pandemie gehört in unserer Gesellschaft eine bemerkenswerte Rückkehr von Vertrauen. Vielleicht am eindrucksvollsten ist die Renaissance des politischen Vertrauens. Aber auch das Vertrauen in die Wissenschaft verzeichnet einen beachtlichen Aufschwung. Bürgerinnen und Bürger sind bereit, das eigene Wohlergehen in einer risikoreichen Situation in die Verantwortung von Politikerinnen und Politikern, von Virologinnen und Epidemiologen zu legen.

Kein Wissen ohne Vertrauen

Diese Rückkehr des Vertrauens verweist auf eine grundlegende Existenzvoraussetzung einer modernen Wissensgesellschaft, die in den Jahren unterminiert zu werden drohte: eine funktionierende „epistemische Arbeitsteilung“ bei Wissenserwerb und Wissensvermittlung, bei Informationssammlung und Informationsweitergabe. Der fundamentale Bedarf an einer solchen Arbeitsteilung ergibt sich aus der elementaren Tatsache, dass der weit überwiegende Teil unseres Wissens nicht durch eigene Erfahrung und Überlegung erworben wird: es ist Wissen aus zweiter Hand.

Wenn man aber auf Informationen angewiesen ist, ohne deren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können, dann kann man anderen Personen als Quellen nur dann glauben, wenn man sie für vertrauenswürdig hält: auf ihre Fähigkeiten und Kenntnisse vertraut sowie auf ihre Motivation, ihr Wissen zuverlässig weiterzugeben.

Erschwert werden kann das durch ein Kompetenzproblem: Personen ohne spezialisierte Kenntnisse können das Fachwissen von Expertinnen und Experten nicht ohne weiteres selbst erwerben und deren Aussagen überprüfen. Die meiste Zeit und in den meisten Bereichen sind aber alle Menschen Laien.

Dieses Problem sollen gesellschaftlich etablierte Kriterien lösen, die vertrauenswürdige Fachleute für jedermann identifizierbar machen: Zertifikate von Ausbildungsinstitutionen, Zeugnisse, Diplome oder Doktortitel, Zugehörigkeit zu Organisationen wie Universitäten, Forschungseinrichtungen, Krankenhäusern oder Gerichten. Der Glaube an die Vertrauenswürdigkeit von Fachleuten leitet sich dann aus einem Vertrauen in diese Institutionen ab.

Wie können aber Personen ohne einschlägiges Fachwissen die Verlässlichkeit dieser Institutionen selbst beurteilen? Eine Möglichkeit sind sichtbare Erfolgsbilanzen: Ob die Medizin Krankheiten heilt, die Meteorologie das Wetter zutreffend voraussagt, die Ingenieurwissenschaft stabile Brücken baut oder die Virologie die Ausbreitung einer Pandemie richtig einschätzt, können im Prinzip auch Menschen ohne Fachwissen beurteilen.

Für ein solches Urteil liefert die persönliche Erfahrungsbasis aber wiederum nur einen kleinen Bruchteil der relevanten Informationen. Die Einzelnen sind auf die akkumulierten Erfahrungen zahlreicher weiterer Informationsquellen angewiesen, wenn sie Erfolge und Misserfolge der Wissenschaft einschätzen wollen. Dabei spielen Intermediäre wie etwa ein professioneller Wissenschaftsjournalismus oder die Vermittlung in der Bildungskette eine Rolle, aber auch Vertrauensnetzwerke im sozialen Umfeld haben Gewicht. Hier gründet Vertrauen unmittelbar in der eigenen individuellen Erfahrung und wird verstärkt durch emotionale Bindungen.

Eine funktionierende epistemische Arbeitsteilung ist demnach in ein vielfach geschachteltes, komplexes Netzwerk von Vertrauensbeziehungen eingebettet. Damit dieses Netzwerk Vertrauen in die Wissenschaft vermittelt, muss wiederum denjenigen Personen und Institutionen vertraut werden, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten für die epistemische Autorität und Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft bürgen.

Digitale Viren des Misstrauens

Bei einer Unterminierung der epistemischen Arbeitsteilung geht es deshalb auch nicht vorrangig darum, dass Menschen die Fähigkeit abhandenkommt, selbst Wissen zu erwerben, Informationen zu überprüfen und Fake News von Wahrheit zu unterscheiden. Was wirklich zählt, ist die Fähigkeit, zwischen vertrauenswürdigen und kompetenten sowie unzuverlässigen und inkompetenten Informationsquellen zu unterscheiden.

Die digitale Transformation mit ihrer Revolution der persönlichen, sozialen und politischen Kommunikation hat die Vertrauensbasis der epistemischen Arbeitsteilung durch drei Prozesse unterminieren können:

Vernetzung: Menschen, die sich bislang als marginalisierte und isolierte Minderheit empfunden und gesellschaftlichen Institutionen ohnehin bereits misstraut haben, können vor allem mithilfe digitaler Medien Gleichgesinnte identifizieren und sich mit ihnen vernetzen.

Polarisierung: Die digital vermittelte Kommunikation in abgeschotteten Arenen verstärkt extremistische Positionen und vertieft Misstrauen gegenüber der Politik („Volksverräter“), den etablierten Medien („Lügenpresse“) und auch der Wissenschaft („Handlanger“).

Indoktrinierung: Die soziale Dynamik in diesen Prozessen etabliert neue Vertrauensbeziehungen, etwa zu politischen Meinungsführern mit ihren Attacken gegen herrschende Eliten oder zu alternativen Autoritäten als Zeugen gegen die Wissenschaften.

Diese Entwicklungen finden vor allem im informellen Umfeld von Menschen statt, jenseits der etablierten Kommunikationsräume und Institutionen einer entwickelten Wissensgesellschaft.

Der Kampf um die digitale Welt

Kann der während der Corona-Krise entstandene Vertrauensvorschuss erhalten werden? Bei der Suche nach möglichen Erfolgsfaktoren landet man schnell bei den üblichen Verdächtigen: bei umfassender und transparenter Kommunikation, nachvollziehbarer Rechtfertigung von Entscheidungen, verständlicher Erklärung relevanter Fakten. Wenn aber insbesondere die sozialen Mechanismen in der digitalen Welt eine der wesentlichen Ursachen für die Gefährdung des Vertrauens waren und sind, dann muss man einen gezielten Blick auf die hier möglichen Gegenstrategien werfen.

  • Bürgerbeteiligung: Wenn Bürgerinnen und Bürger Expertise in eigener Sache haben und über relevantes Wissen und Problembewusstsein verfügen, entfällt die Legitimation für politische Entscheidungen ohne ihre Beteiligung. Das gilt von nationaler Gesetzgebung bis hin zu kommunalen Regulierungen. Eine umfassende Bürgerbeteiligung ist aber ohne technisch avancierte digitale Plattformen nicht umsetzbar. Solche Plattformen werden bereits erfolgversprechend eingesetzt, sie müssen aber gezielt weiterentwickelt werden.
  • Öffentlichkeit: Digitale Kommunikation darf nicht Personen mit populistischen, verschwörungstheoretischen, rechtsradikalen und pseudowissenschaftlichen Botschaften überlassen werden. Auch in der digitalen Welt muss eine gesellschaftliche Öffentlichkeit etabliert werden, in der Einflüsse durch antidemokratische, demagogische und wissenschaftsfeindliche Kräfte konterkariert werden. Das ist keine triviale Herausforderung. Es gibt einen substantiellen Bedarf an innovativen Instrumenten und Strategien, um dieses Ziel zu erreichen.
  • Wissenschaftskommunikation: Die Corona-Krise hat die wichtige Rolle der Kommunikation für das Vertrauen in die Wissenschaft demonstriert. Wissenschaftliche Analysen und Prognosen müssen nachvollziehbar und verständlich erläutert werden, inklusive ihrer Unsicherheiten, Vorläufigkeiten und grundsätzlichen Fallibilität. In der Corona-Krise war gelingende Wissenschaftskommunikation weitgehend von einzelnen Personen abhängig. Es sind aber Vermittlungsformate nötig, die über einzelne Podcasts, individuelle Auftritte in Talkshows und sporadische Tweets hinausgehen. Und für die Wissenschaft gilt wie auch für andere gesellschaftliche Institutionen: Die Zukunft des Vertrauens in sie wird mit davon abhängen, wie sie sich in der digitalen Welt präsentieren. Die Visualisierung von Pandemie-Daten in interaktiven Dashboards wie von der Johns-Hopkins-Universität oder dem Robert-Koch-Institut sind dabei gute Beispiele für innovative Formate, die in einem digitalen Kontext möglich sind.

Fazit
Insgesamt ist es nicht überraschend, dass Vertrauen dort erhalten und zurückgewonnen werden muss, wo es am meisten bedroht wird: in den digitalen Medien, in der sich neben der demokratischen Öffentlichkeit eine Parallelwelt von fragmentierten Teilöffentlichkeiten und alternativen Vertrauensnetzwerken etabliert hat, in der Misstrauen gegenüber Demokratie, Wissenschaft und Medien verbreitet wird. Die Wissenschaft muss aber auch selbst einen Beitrag leisten und eine Digitalisierungsforschung vorantreiben, die sich aktiv an der gesellschaftlichen Gestaltung dieser schönen neuen digitalen Welt beteiligt.

 

Michael Baurmann ist Soziologe und Seniorprofessor am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2017 leitet er als wissenschaftlicher Direktor das Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. Gekürzte Fassung seines am 30. Juni 2020 erschienenen Essays in Journal - Wissenschaftskommunikation.de  https://www.wissenschaftskommunikation.de/die-rueckkehr-des-vertrauens-40019/

 

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wirft zahlreiche Fragen nicht nur zu den gesundheitlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Folgen auf. Die Wissenschaft liefert hier entscheidende Fakten und Antworten. Viele Forscherinnen und Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) aus unterschiedlichen Disziplinen sind durch ihre Arbeit aktuell gefragte Gesprächspartner der Medien oder auch direkt in das Pandemie-Krisenmanagement eingebunden. Die HHU möchte ihre wissenschaftliche Expertise in die öffentliche Diskussion einbringen, um so zur Einordnung und Bewältigung der Corona-Krise beizutragen.

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Kategorie/n: Pressemeldungen, Titelmeldung2, Corona-Expertisen
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