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Corona im Fokus Detailansicht

Corona im Fokus: HHU-Expertise zur Pandemie
„Wir lassen niemanden allein“

Lock-down, Kontaktbeschränkungen und Studium im Home-Office – aktuelle Studien zeigen, junge Erwachsene und Erwachsene mittleren Alters leiden verstärkt unter den Folgen der Pandemiebekämpfung. Selbst-empfundener Stress hat in allen Altersgruppen und bei beiden Geschlechtern zugenommen.

 

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Im Interview: Dipl.-Psychologin Angelika Wuttke zu den Herausforderungen des Online-Studiums

Das spiegelt sich auch in der Psychologischen Beratung für Studierende an der Heinrich-Heine-Universität wieder. In Einzel- und Gruppengesprächen hilft Diplom-Psychologin Angelika Wuttke seit mittlerweile 32 Jahren Studierenden bei der Stressreduzierung und der Bewältigung von Studienproblemen. Im Interview erläutert sie, wo Herausforderungen im Online-Studium liegen und welche Unterstützungsangebote es an der HHU gibt.

Mit welchen Anliegen kommen die Studierenden in die Beratung? Hat die Pandemie daran etwas verändert?

Angelika Wuttke: Wir sehen uns als eine Beratungsstelle für alle Probleme während der Studienzeit. Erfahrungsgemäß kommen meist ältere Studierende, die Rat suchen bei typischen Belastungen, die das Studium erschweren können, wie beispielsweise Lernblockaden, Leistungs- oder Prüfungsängste. Die „Aufschieberitis“, seit den 1970er Jahren auch wissenschaftlich ein Thema, ist dabei eine der häufigsten Nöte. Und wir beraten bei persönlichen Sorgen, wie etwa bei Beziehungsproblemen. Denn wenn es einem nicht gut geht, wird man nicht erfolgreich studieren können und andersherum – das bedingt sich wechselseitig.

Jetzt in der Corona-Pandemie stellen wir fest, dass sich nicht mehr vorrangig die höheren Semester an uns wenden, sondern insbesondere die Erstsemester. Das erstaunt zunächst, denn normalerweise beginnt mit dem Studium ein neuer Lebensabschnitt, den es erst einmal zu entdecken gilt: alles ist neu und spannend, man orientiert sich, tauscht sich aus – die Probleme sind noch nicht so da. Dieser Zauber des Neubeginns (Hermann Hesse) stellt sich zurzeit im Online-Studium nur schwer ein. Vielmehr beobachten wir, dass viele sehr junge Studierende bereits nach den ersten Wochen am Studium zweifeln und über Studienunterbrechung oder gar -abbruch nachdenken. Viele klagen über Einsamkeit, Motivationsverlust sowie eine fehlende Tagesstruktur und machen sich Vorwürfe, weil es mit ihrer Selbstorganisation nicht so klappt. Bei einigen kommen Finanzierungsprobleme hinzu, da coronabedingt klassische Nebenjobs – wie beispielsweise in der Kneipe – weggefallen sind. 

Wo liegen die besonderen Herausforderungen der Corona-Semester?

Angelika Wuttke: Social Distancing, die vielen Verbote im Rahmen der Corona-Präventionsmaßnamen und das Studium im Homeoffice, bringen viele Herausforderungen, gerade für junge Studienanfänger, mit sich. Sie wissen noch nicht, wie Studium funktioniert. Und sie haben soziale Kontakte, die viele Nöte abfedern können, noch nicht aufgebaut. Nach unserer Beobachtung fehlt ganz klar die Rückkoppelung mit den Mitstudierenden. Insbesondere wenn man ein Studium anfängt, ist man unsicher und ist es gut, sich auszutauschen. Dann merkt man, die anderen sind auch unsicher, gemeinsam sind wir stark. Das ist ja auch Teil des Studienlebens. Wenn man in der Vorlesung sitzt und etwas nicht versteht, stößt man den Sitznachbarn an und fragt „Was ist damit gemeint?“ oder man guckt etwas ratlos in der Gegend herum und ist relativ beruhigt, wenn andere auch lauter Fragezeichen im Gesicht haben. Auch „einfache“ Fragen, wie z.B. „Was ist ILIAS oder wie viele CP brauche ich?“, kann man am besten im direkten Kontakt mit Kommilitonen in der Mittagspause oder beim Wechsel des Lehrraums klären. Im Online-Studium sitzt man zu Hause alleine vor dem Bildschirm und hat das Gefühl: Ich verstehe das alles nicht und ich bin der oder die Einzige, der oder die zu blöd dazu ist.

Noch schwerer haben es Erstsemester, die eigens für das Studium in eine neue Stadt gezogen sind.  Hier potenzieren sich Einsamkeitsaspekte. Das ist schon eine ziemlich harte Situation, auch angesichts der vielen Neuerungen, die organisiert sein wollen, wie ein eigenes Leben und einen eigenen Haushalt zu führen, Formalitäten zu erledigen, sich z.B. anzumelden und dies alles, ohne die Möglichkeit, neue Menschen kennen zu lernen. So mancher kehrt dann wieder ins Elternhaus zurück und ist dort mitunter mit alten Rollenkonflikten konfrontiert.

Kontakte sind auch deshalb so wichtig, weil wir damit die Botschaft bekommen: Ich bin gerne mit dir zusammen, das, was du erzählst, interessiert mich. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Wenn Kontakte fehlen, ist das gerade bei denen, die viel Selbstkritik und Selbstzweifel haben, ein ziemlicher Einbruch. Wehe, wenn man mit sich alleine ist! Viele Menschen sind sich selber keine gute Gesellschaft, weil sie so viel an sich nicht gut, nicht gut genug, nicht perfekt finden. Das höre ich oft, dass viele nicht mit sich zufrieden sind und an ihrem Perfektionismus leiden, weil sie sich an einem Ideal messen, das sie nicht erfüllen können. 

Wie helfen Sie, was macht die Psychologische Beratung in dieser Situation?

Angelika Wuttke: Wir in der psychologischen Beratung lassen niemanden alleine und holen den Hilfesuchenden dort ab, wo etwas schwierig wird. Wichtig: erst einmal zuhören und fragen: “Was ist das Problem?“. Interessiertes Zuhören und Nachfragen zeigt echtes Interesse und wirkt motivierend. Und es eröffnet meist eine andere Perspektive auf die entsprechenden Nöte. Bei der genauen Beschreibung ihres Problems wird für viele Ratsuchenden meist schon selber ein Lösungsansatz deutlich.

Wir kommen nicht mit fertigen Lösungen, es geht um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir geben zwar Anregungen, aber es ist die eigene Entscheidung, was man ausprobieren möchte und ob es zu einem passt.
Wem die Decke auf den Kopf fällt und wer sich einsam fühlt, den ermutigen wir, Kontakte herzustellen oder zu nutzen, um trotz der Corona-Distanz Leute kennenzulernen: Gibt es vielleicht Facebook- oder WhatsApp-Gruppen oder Angebote der Fachschaften? Vor allem gilt: sich nicht zurückzuziehen, sondern nach Lösungen zu suchen, kreative Ideen zu entwickeln und zu schauen, wer dabei unterstützen könnte. Vielleicht zu zweit joggen gehen?

Fehlt die Tagestruktur und man kommt nicht aus dem Bett? Dann sollte man sich, am besten mit anderen gemeinsam, einen Rahmen geben. Wie wäre es vielleicht mit einem gemeinsamen Frühstück per Zoom immer zur selben Uhrzeit?

Wenn man z.B. merkt, dass man „zu viel um die Ohren“ hat, hilft die Frage nach dem Wichtigsten, nach Prioritäten weiter. Oder die Einteilung von (zu) großen Aufgaben in kleine machbare Schritte; jeder geschaffte Schritt ist ein Erfolgserlebnis, das motiviert.

Wer Zweifel hat, ob er oder sie für eine Prüfung das Richtige und genug lernt, dem kann der Austausch in einer Lerngruppe weiterhelfen. Vielleicht kann man sich zu Hause nicht konzentrieren, z.B. beim Lernen die Geschwister nerven, dann kann man auch spazieren gehen zum Auswendiglernen und Wiederholen des Gelernten. Die Bewegung und wechselnden Lernorte sind übrigens sehr gut, um sich Dinge zu merken, da wir ganzheitlich lernen. Die Lerntechniken zu ändern und aus dem Lernen kein „Straflager“ zu machen, ist eine andere Anregung.

Wenn die Ratsuchenden Probleme mit dem Schreiben von Hausarbeiten, Bachelor- oder auch Promotionsarbeiten haben und diese aufschieben, dann kann das sehr unterschiedliche Gründe haben. Darauf gehen wir auch in unseren Gruppenangeboten ein. Und am 18. März findet wieder die „Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ statt, die in Vorträgen, Workshops und Beratungen dafür Lösungsvorschläge macht.

Wir klären bei unseren Sprechstunden auch immer ab, inwieweit eine Selbstbehandlung (durch Hilfe zur Selbsthilfe) noch möglich ist, oder ob die Probleme Teil einer Krankheit sind und daher eine Fremdbehandlung nötig ist. Dann empfehlen wir eine ambulante Psychotherapie.

Welche Unterstützungen gibt es im Studierendenservice der HHU?

  • Das SSC, das Studierenden Service Center in Gebäude 21.02. ist die erste Anlaufstelle für alle Fragen rund ums Studium und auch in Corona-Zeiten von 10-15 Uhr (nach Terminvereinbarung) geöffnet.
  • Im virtuellen Beratungscenter gibt es Unterstützung zu allen Aspekten des Online-Studiums. Auch Webinare, E-Coachings, Livechats, Tutorials und Podcasts zu den genannten Themen Selbst- und Lernorganisation, Zeitmanagement, Prüfungsangst und andere, werden hier angeboten.
  • Die persönliche Individualberatung steht im Vordergrund bei der Psychologischen Beratung und bei der Allgemeinen Beratung / Coaching. Dafür gibt es dienstags und donnerstags Sprechstunden und Termine nach Vereinbarung.
  • HHU Ersti-Guide: die App für den Studienstart

Außerdem wurden im Artikel erwähnt:  

  • Das Gruppenangebot bieten themenzentrierte Workshops und Online-Kurse (z.B. zu Prüfungsangst, Leichter Lernen, Gute Gewohnheiten, Perfektionismus, Zeitmanagement). Neu ist der offene virtuelle Lernraum, in dem sich Studierende online auf Prüfungen vorbereiten, Hausarbeiten schreiben und Stoff nachholen können – so kann aus Alleinsein gemeinsam werden!
  • Campus-ABC: „Du bist neu an der Uni und verstehst nur Bahnhof?“
  • Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten, jeweils zu Semesterende, aktuell am 18.März 2021 von 17-24 Uhr

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wirft zahlreiche Fragen nicht nur zu den gesundheitlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Folgen auf. Die Wissenschaft liefert hier entscheidende Fakten und Antworten. Viele Forscherinnen und Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) aus unterschiedlichen Disziplinen sind durch ihre Arbeit aktuell gefragte Gesprächspartner der Medien oder auch direkt in das Pandemie-Krisenmanagement eingebunden. Die HHU möchte ihre wissenschaftliche Expertise in die öffentliche Diskussion einbringen, um so zur Einordnung und Bewältigung der Corona-Krise beizutragen.

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Kategorie/n: Schlagzeilen, Pressemeldungen, INTRANET News, Corona-Expertisen
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