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Corona im Fokus: HHU-Expertise zur Pandemie
Diskussion: "Arbeiten während und nach Corona"

Herausforderungen für die Personalforschung und Personalpraxis diskutierten Experten aus Wissenschaft und Praxis am 17. September in Düsseldorf im Rahmen des Herbstworkshops der Wissenschaftlichen Kommission ‚Personal‘ im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB). Eingeladen hatte Professor Dr. Stefan Süß, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Lehrstuhlinhaber für BWL, insb. Arbeit, Personal und Organisation sowie derzeitiger Kommissionsvorsitzender.

(links nach rechts): Prof. Dr. Stephan Kaiser (Universität der Bundeswehr München), Prof. Dr. Nico Dragano (HHU), Prof. Dr. Stefan Süß (HHU), Prof. Dr. Ulf Mainzer (ERGO) sowie Renate Ortlieb (Universität Graz) diskutierten über das Arbeiten während und nach Corona. (Foto: Stefan Süß / HHU)

Eins ist in den letzten Wochen deutlich geworden: Covid-19 hat das Leben in ganz Deutschland auch beruflich verändert. Viele Menschen haben sich daran gewöhnt, ihren Job in der eigenen Wohnung zu erledigen. Und Unternehmen denken verstärkt darüber nach, ihre interne Organisation auf den Kopf zu stellen und das Homeoffice fortzuführen - auch nach Corona-Zeiten. Für beide Seiten stellen sich dabei viele Fragen:  

•           Welche Erkenntnisse gibt es dazu, wie das Arbeiten und das Infektionsgeschehen zusammenhängen?

•           Unter welchen Umständen kann das Arbeiten in Büros wiederaufgenommen werden? Oder ist ab sofort trotz Hygienekonzepten ein (Rest-)Risiko der Infektion gegeben? Brauchen Unternehmen ein Pandemiemanagement?

•           Welchen Einfluss hat die Pandemie auf die Zusammenarbeit, insbesondere auf Kooperationen, Wissensaustausch oder Innovationen in Unternehmen?

•           Welche Konsequenzen resultieren aus dem Arbeiten im Homeoffice für die Beschäftigten? Kann Homeoffice einen (weiteren) Stressor darstellen oder steigert es Produktivität und Zufriedenheit?

Diese und andere Fragen diskutierten Experten aus Wissenschaft und Praxis am 17. September in Düsseldorf im Rahmen des Herbstworkshops der Wissenschaftlichen Kommission ‚Personal‘ im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB). Eingeladen hatte Professor Dr. Stefan Süß, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Lehrstuhlinhaber für BWL, insb. Arbeit, Personal und Organisation sowie derzeitiger Kommissionsvorsitzender. Seit 2010 befasst sich Betriebswirt Prof. Dr. Stefan Süß und sein Lehrstuhlteam mit der flexiblen Gestaltung von Arbeit. Im Mai 2020 hatte der Lehrstuhl eine in den Medien vielbeachtete wissenschaftliche Studie zum Arbeiten im Homeoffice während der Corona-Krise durchgeführt.

Als Vertreter der Personalpraxis stellte Dr. Ulf Mainzer (Arbeitsdirektor und Mitglied des Vorstands der ERGO) dar, wie die ERGO mit den Konsequenzen der Pandemie bis jetzt umgeht. Er führte an, dass die Auswirkungen gravierend gewesen seien und sagte, „dass das Gebäude zeitweise wie ausgestorben wirkte“. Zugleich betonte Dr. Mainzer, dass sich viele alltägliche Dinge geändert hätten (z. B. Reisen, Kommunikation). Er geht davon aus, dass die aktuelle Situation bis zum zweiten Quartal 2021 bestehen bleiben wird und somit rund 55 % der Mitarbeiter weiterhin im Homeoffice arbeiten werden. Langfristig müsse die ERGO sich um eine Balance bemühen, so dass man mit einer Mischung aus Homeoffice und Arbeiten vor Ort im Büro plane.

Professor Nico Dragano (Institut für Medizinische Soziologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) brachte eine epidemiologische Perspektive in die Diskussion ein. Er hob hervor, dass vor allem Berufe im Gesundheitswesen einem höheren Infektionsrisiko am Arbeitsplatz ausgesetzt seien, wobei die Gefahr abnehme. Zudem sei das Risiko im Einzelhandel, aber auch in lehrenden Berufen etwas höher. Professor Dragano machte deutlich, dass während der Hochzeit der Pandemie die schnelle Reaktion der Betriebe ein Schlüsselfaktor gewesen sei, um die Zahl der Infektionen einzudämmen. Die Homeoffice-Nutzung bot dabei eine Möglichkeit, um der Ansteckungsgefahr während des Pendelns mit dem ÖPNV aus dem Weg zu gehen. Allerdings, so Professor Dragano, könne die durch Corona bedingte zum Teil sofortige Einführung digitaler Tools sog. Technostress begünstigen. Dieser resultiere aus der Überforderung im Umgang mit (neuen) Technologien. Um diese Art von Stress zu verhindern, empfahl er Betrieben, die Rahmenbedingungen digitaler Arbeit z. B. durch IT-Support, betriebliche Regeln zu optimieren. Prof.  Dragano hat mit Kollegen eine Handreichung für das Management psychosozialer Belastungen unter Pandemie-Bedingungen veröffentlicht.

Professor Stephan Kaiser (Universität der Bundeswehr München) vertrat die Auffassung, dass die digitale Zusammenarbeit im Homeoffice, die durch Corona unverzüglich notwendig wurde, in den meisten Fällen gut funktioniert hätte. Dennoch seien negative Begleiteffekte, wie beispielsweise soziale Isolation, eine Doppelbelastung für Elternteile durch Home-Schooling oder fehlende Emotionalität bei der Arbeit, nicht auszuschließen. Zusätzlich sprach Professor Kaiser potenzielle langfristige Konsequenzen der digitalen Zusammenarbeit an: Zum einen könnten der Wissenstransfer im Unternehmen und die Innovationskraft gehemmt werden, zum anderen das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Unternehmen abnehmen. Abschließend betonte er, dass das von Bundesarbeitsminister Heil geforderte Recht auf Homeoffice als Idee grundsätzlich richtig sei – es bedürfe allerdings einer äußerst differenzierten Umsetzung.

Professor Renate Ortlieb (Universität Graz) berichtete über ein Projekt in der österreichischen Steiermark, das untersucht, wie Betriebe die Arbeit im Homeoffice, aber auch die Arbeit vor Ort im Büro organisieren. Sie zeigte auf, dass sich in einigen Betrieben grundlegende Regeln und Routinen ändern mussten. Als eine Best-Practice-Empfehlung sprach sie das sog. „Ampelsystem“ an. Dieses soll dahingehend Sicherheit geben, dass durch die Kommunikation einer Ampelfarbe ein Verständnis dafür geschaffen werde, wie hoch das derzeitige Infektionsrisiko sei. Damit wachse gleichzeitig in der Belegschaft der Kenntnisstand darüber, welche Maßnahmen angesichts des Infektionsgeschehens zu vollziehen seien. Abschließend machte Professor Ortlieb deutlich, dass neben derartigen Maßnahmen auch das Engagement einzelner Personen sowohl im Personalmanagement als auch in den Gremien der Mitbestimmung sowie der Unternehmensführung maßgeblich seien, um der Belegschaft ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln.

Aus dem Plenum wurden Fragen zu der Nutzung von Coworking-Spaces und den Auswirkungen der Pandemie auf Coworking angesprochen. Die Nachfrage nach solchen Arbeitsorten könnte aktuell und zukünftig weiter zunehmen, weil viele Menschen zu Hause nicht die Umgebung vorfinden, um in Ruhe arbeiten zu können. Zugleich wurde davor gewarnt, dass Beschäftigte unkontrolliert mobil arbeiten, da ein Ansturm auf Arbeitsorte wie z. B. Cafés in Zeiten von Corona problematisch sei. Gewarnt wurde vor einer Teilung der Gesellschaft durch Homeoffice. Denn laut Schätzungen können nur 40% aller Jobs ganz oder teilweise im Homeoffice erledigt werden. Viele Beschäftigte, wie z.B. Handwerker, Pflegekräfte, Verkaufspersonal oder Mitarbeiter in Produktionsbetrieben können diese Option gar nicht erst wahrnehmen. Dies könnte zu Neid und Konflikten in Betrieben führen. Eine weitere Frage bezog sich auf mögliche Arbeitsplatzkosten, die durch eine Verrichtung der Arbeit im Homeoffice für Beschäftigte entstehen können. Hierzu wird seitens der Wissenschaft die Meinung vertreten, dass Unternehmen eventuelle Einsparungen zumindest teilweise an die Beschäftigten weitergeben müssten. Auch Dr. Mainzer führte aus, dass keinesfalls monetäre Nachteile für die Belegschaft entstehen sollen. In welcher Weise dies zu gewährleisten ist, würde derzeit noch diskutiert.

 

Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wirft zahlreiche Fragen nicht nur zu den gesundheitlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Folgen auf. Die Wissenschaft liefert hier entscheidende Fakten und Antworten. Viele Forscherinnen und Forscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) aus unterschiedlichen Disziplinen sind durch ihre Arbeit aktuell gefragte Gesprächspartner der Medien oder auch direkt in das Pandemie-Krisenmanagement eingebunden. Die HHU möchte ihre wissenschaftliche Expertise in die öffentliche Diskussion einbringen, um so zur Einordnung und Bewältigung der Corona-Krise beizutragen.

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Kategorie/n: Schlagzeilen, Corona-Expertisen
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