Die zusammengesetzten Sequenzen bieten einen detaillierteren Einblick in die genetische Entwicklung von Y-Chromosomen über 183.000 Jahre menschlicher Evolution. Sie enthüllen neue DNA-Sequenzen, Signaturen von konservierten Regionen und Einblicke in die molekularen Mechanismen, die zur komplexen Struktur des Y-Chromosoms beigetragen haben.
Erst kürzlich wurde die Relevanz des Y-Chromosoms für die Erkrankungswahrscheinlichkeit und schlechtere Prognose von nicht-geschlechtsspezifischen Krebserkrankungen bei Männern im Vergleich zu Frauen deutlich gemacht. Nature hatte im Juni 2023 zwei Studien zum Thema Y-Chromosom und dessen Einfluss auf Krebserkrankungen bei Männern vorgelegt. Was vormals dem weniger gesunden Lebensstil von Männern beispielsweise bei Ernährung, Bewegung und Belastung zugerechnet wurde, scheint aber eine genetische Komponente zu besitzen.
„Um diese Erkenntnisse nun tiefgehend zu erforschen, ist es notwendig, das Y-Chromosom komplett zu kennen“, sagt Dr. Peter Ebert und verweist auf die gleichzeitige Publikation von Adam Phillippy und des Telomere-to-Telomere-Konsortiums bei Nature (s.u.).
Dort wird erstmals die vollständige 62.460.029 Basenpaare umfassende Sequenz eines menschlichen Y-Chromosoms präsentiert. Damit konnten sowohl viele Lücken geschlossen als auch Fehler im Y-Chromosom der aktuellen menschlichen Referenzgenomsequenz korrigiert werden. Des Weiteren unterstützt dies vergleichende Studien mit möglichst vollständigen Y-Chromosomen, die das Spektrum der genetischen Variation besser und präziser beschreiben können, wie in der aktuellen Studie von Hallast et al., an der das Düsseldorfer Institut maßgeblich beteiligt war.
„Für das Zusammensetzen der 43 Y-Chromosome im Computer mussten verschiedene Technologien kombiniert werden, um die schwierigen Sequenzabschnitte, die bis dato in keiner Referenz vorkommen, möglichst genau auflösen zu können. Nur mit Hilfe von Hochleistungsrechnern, wie sie uns am Zentrum für Informations- und Medientechnologie der HHU zur Verfügung stehen, sind solche Projekte überhaupt denkbar”, sagt Dr. Peter Ebert, einer der Erstautoren der Studie.
Dass sich dieser Aufwand lohnt, wird im Hinblick auf die Zukunft der biomedizinischen Forschung deutlich: „Diagnostik und Therapie werden sich mehr und mehr in Richtung personalisierter Medizin entwickeln. Dafür darf es keine blinden Flecken im Genom geben”, verdeutlicht Prof. Dr. Tobias Marschall den Zusammenhang. Er ist Co-Vorsitzender des „Human Genome Structural Variation Consortium (HGSVC)”, das sich der umfassenden Beschreibung und Analyse von menschlicher genetischer Variation widmet, und in dessen Rahmen dieses Projekt durchgeführt wurde.
Originalpublikation
Hallast, P., Ebert, P., Loftus, M. et al. Assembly of 43 human Y chromosomes reveals extensive complexity and variation. Nature (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06425-6
Weiterführende Links:
Vollständige Rekonstruktion eines menschlichen Genoms (2022)
Human Genome Structural Variation Consortium (HGSVC)
Forschung & Lehre, "Wie das Y-Chromosom den Krebs bekämpft", Christine Lehnen (cle), 24. 08.2023
Partnerpublikation:
Rhie, A., Nurk, S., Cechova, M. et al. The complete sequence of a human Y chromosome. Nature (2023).
https://doi.org/10.1038/s41586-023-06457-y, see also:
The Jackson Laboratory: Long read findings will impact overall understanding of health and disease (jax.org), 23.08.2023