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Meeresbiologie: Veröffentlichung in Nature Communications
Mikroben helfen bei der Anpassung an den Klimawandel

Forschende von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und um Prof. Dr. Sebastian Fraune untersuchen am Beispiel der Seeanemone Nematostella vectensis den Beitrag des Mikrobioms zur Temperaturanpassung von Lebewesen. Dieser ist entscheidend, wie sie feststellten und in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Communications berichten.

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Die Seeanemone Nematostella vectensis, hier bei der Eiablage, kann ihre Temperaturanpassung durch die Weitergabe bestimmter Bakterien direkt an ihre Nachkommen vererben. (Bild: HHU / Hanna Domin)

Alle vielzelligen Lebewesen sind von einer unvorstellbar großen Anzahl von Mikroorganismen besiedelt und haben sich in der Entstehungsgeschichte des Lebens von Beginn an gemeinsam mit ihnen entwickelt. Das natürliche Mikrobiom, also die Gesamtheit dieser Bakterien, Viren und Pilze, die in und auf einem Körper leben, ist von fundamentaler Bedeutung für den Gesamtorganismus: Es übernimmt lebenswichtige Aufgaben für den Wirtsorganismus, zum Beispiel unterstützt es bei der Nährstoffaufnahme und es hilft bei der Abwehr vor Krankheitserregern.

Das Forschungsteam der HHU und der CAU ist nun der Frage nachgegangen, wie das Mikrobiom einen Organismus bei der Anpassung an geänderte Umweltbedingungen unterstützen kann. In einer Studie im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ haben sie in einem sogenannten Akklimatisierungsexperiment die Beteiligung des Mikrobioms an der Temperaturanpassung der Anemonen untersucht.

Die Forschenden um Prof. Dr. Sebastian Fraune vom HHU-Institut für Zoologie und Organismische Interaktionen, der auch Projektleiter im Kieler SFB 1182 ist, konnten zeigen, dass sich die Bakterienbesiedlung der Tiere infolge der Akklimatisierung ändert und deren Organismus zudem resistenter gegenüber Hitzestress wird. Zusätzlich gelang es dem Forschungsteam, einen ursächlichen Zusammenhang zu belegen: Übertrugen sie das Mikrobiom der wärmeangepassten auf nicht akklimatisierte Anemonen, wurden auch diese unempfindlicher gegenüber höheren Temperaturen. Dies ist besonders hinsichtlich sich ändernder Umweltbedingungen infolge des Klimawandel relevant. 

Mehrjähriges Akklimatisierungsexperiment

Grundlage der neuen Arbeit ist ein vom „Human Frontier Science Program (HFSP)“ gefördertes Langzeitexperiment, in dem die Forschenden seit mehr als vier Jahren die Anpassung der Anemonen an geänderte Umweltbedingungen untersuchten. Dazu arbeiteten sie mit Klonen eines einzigen Ursprungstiers und verglichen jeweils 50 genetisch identische Anemonen in 15 verschiedenen Kolonien miteinander. Diese Kolonien unterteilten die Forschenden in drei Gruppen, die bei 15, 20 und 25 Grad Celsius gehalten wurden, um ihre Akklimatisierung oder Anpassung an unterschiedliche Temperaturbedingungen zu analysieren.

Im Laufe des langen Beobachtungszeitraums zeigten sich charakteristische Änderungen im sogenannten Phänotyp der Anemonen, also in ihrer äußeren Gestalt einschließlich der physiologischen Eigenschaften: Unter anderem werden die Tiere bei niedrigeren Temperaturen deutlich größer und sie änderten ihren Fortpflanzungsmodus.

Besonders interessant waren zudem Änderungen in der Temperaturtoleranz. „Die Anemonen unterschieden sich sehr deutlich in der Stressresistenz gegenüber hohen Temperaturen. Setzten wir sie für sechs Stunden einem sehr starken Temperaturstress von 40 Grad Celsius aus, überlebten fast ausschließlich die bei 25 Grad Celsius akklimatisierten Tiere“, sagt Laura Baldassarre, Erstautorin der Studie.

Frühere Forschungsarbeiten deuteten darauf hin, dass die Anpassung an den Temperaturstress mit Veränderungen in der Mikrobiomzusammensetzung der Tiere zusammenhängen kann. Auch die Analyse der Bakterienbesiedlung der verschiedenen Bakterienkolonien des Akklimatisierungsexperiments untermauerte erneut diese Vermutung, denn auch das Mikrobiom der akklimatisierten Tiere änderte sich gegenüber ihren nicht angepassten Artgenossen. „Dass diese Anpassungen, die sogenannte phänotypische Plastizität eines Lebewesens, von Bakterien mit gesteuert werden können, erscheint sehr plausibel. Die viel kürzeren Generationszeiten der Mikroorganismen erlauben eine deutlich schnellere Anpassung, als es über genetische Rekombination des Wirtslebewesens möglich wäre“, betont Prof. Fraune. Ob zwischen der Veränderung des Mikrobioms und der Temperaturanpassung tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, war bisher jedoch nicht belegt.

Mikrobiomtransplantation liefert Bestätigung

„In einem Transplantationsexperiment haben wir die Mikrobiome von den an 15, 20 und 25 Grad Celsius akklimatisierten Anemonen auf nicht temperaturangepasste, aber genetisch identische Tiere übertragen. Es zeigte sich, dass auch diese Tiere anschließend ebenfalls die Toleranz gegenüber hohen Temperaturen übernahmen“, sagt Laura Baldassarre.

Wenn das gesamte Mikrobiom eines Tieres übertragen wird, lässt sich so also tatsächlich auch der Phänotyp mit seiner geänderten Temperaturtoleranz transplantieren. Prof. Fraune: „Wir konnten damit einen kausalen Zusammenhang von Mikrobiomzusammensetzung und Umweltanpassungen herstellen. Damit bestätigen wir experimentell das sogenannte Hologenom-Konzept, das die Evolution als Entwicklung von Wirtslebewesen mit ihren besiedelnden Mikroorganismen hin zu gemeinsamen Fitnessvorteilen für den gesamten Metaorganismus definiert.“.

Anschließend analysierte das Forschungsteam, ob das aufgrund von Temperaturanpassungen geänderte Mikrobiom zwischen den Anemonen weitergegeben werden kann – eine notwendige Voraussetzung für einen dauerhaften Akklimatisierungsprozess. In einer Vorgängerarbeit zeigten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits, dass bei Nematostella bestimmte Bakterien von der Elterngeneration an die Nachkommen weitergegeben werden können. Der evolutionäre Vorteil der Temperaturanpassung kann also im Prinzip direkt vererbt und die dafür nötigen Bakterien müssen nicht erneut aus der Umwelt aufgenommen werden. Auch die aktuelle Studie belegte erneut die Übertragung von mütterlichen Bakterien auf die Nachkommen: Zusätzlich zeigten die Nachkommen ihrer genetisch identischen Eltern eine unter Temperaturstress höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn die Muttertiere bei 25 Grad Celsius akklimatisiert wurden.

Mechanismen auf Ebene der Einzelarten weiter erforschen

Mit den neuen Forschungsergebnissen tragen die Forschenden dazu bei, die Rolle des Zusammenspiels von Wirtslebewesen bei der Anpassung an sich schnell ändernde Umweltbedingungen besser zu verstehen. „Unsere Ergebnisse helfen dabei, die Mechanismen der schnellen, durch das Mikrobiom vermittelten Temperaturanpassungen und ihre Übertragung auf folgende Generationen zu erklären“, so Fraune.

In weiteren Forschungsarbeiten wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Düsseldorf und Kiel nun die Mechanismen der Akklimatisierung im Detail erforschen und dabei besonders die Rolle der beteiligten einzelnen Bakterienarten untersuchen. Dazu sind für eine geplante dritte Förderphase des SFB 1182 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) detaillierte genomische Analysen in Vorbereitung, die mögliche Einzelbeziehungen zwischen Bakterien und bestimmten Stoffwechselprozessen der Wirtszellen und deren Einfluss auf die Temperaturtoleranz des Gesamtorganismus beleuchten sollen.

„Insgesamt ist es wichtig, die bakterielle Komponente der thermischen Akklimatisierung genauer zu verstehen. Sie spielt wahrscheinlich auch in vielen anderen Lebewesen von verschiedenen Tieren und Pflanzen bis hin zu Gesamtökosystemen wie etwa Korallenriffen eine fundamentale Rolle. Ein besseres Verständnis der zugrundliegenden Prozesse ist daher von zentraler Bedeutung, um die Auswirkungen des globalen Wandels auf Arten und Lebensräume besser einzuschätzen oder möglicherweise abzumildern “, fasst Fraune zusammen.

Originalpublikation

Laura Baldassarre, Hua Ying, Adam M. Reitzel, Sören Franzenburg, Sebastian Fraune (2022): Microbiota mediated plasticity promotes thermal adaptation in the sea anemone Nematostella vectensis. Nature Communications First published 01 July, 2022

DOI: 10.1038/s41467-022-31350-z

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