Gläser bzw. glasartige Zustände sind allgegenwärtig: Trink- und Fenstergläser, metallische Gläser, verschiedene Polymersysteme, aber auch Ketchup, kosmetische Produkte, und Zahnpasta fallen darunter. Darüber hinaus sind Gläser nicht nur auf nicht lebende Materie beschränkt: Eine glasartige Dynamik kann auch in dichten Systemen mit aktiver Materie beobachtet werden, zu denen sowohl lebendes Gewebe als auch aktive kolloidale Partikel gehören.
In Düsseldorf will Prof. Karmakar zusammen mit den Forschenden am HHU-Institut für Theoretische Physik II in mehreren dreimonatigen Aufenthalten in diesem und den kommenden Jahren das Fließverhalten – die „rheologischen“ Eigenschaften – glasartiger Substanzen erforschen. Dieses Fließverhalten spielt in vielen alltäglichen Bereichen eine Rolle. Es besser zu verstehen soll auch helfen, bessere Materialien für zukünftige Anwendungen zu entwickeln.
Hierbei hat Prof. Karmakar vor allem den Nanometermaßstab – also die Größenordnung von Tausendstel Mikrometer – im Blick. Denn zukünftig werden auch so winzige technische Geräte denkbar, die auf so kleinen Skalen zum Einsatz kommen. Die Umgebung, in der diese „Nanoroboter“ agieren sollen, unterscheidet sich deutlich von der makroskopischen Welt, die wir täglich wahrnehmen. Unklar ist etwa, wie sich die Plastizität dieser Materialien im Nanomaßstab auf ihre die mechanische Stabilität auswirkt.
Eine weitere Anwendung sind sogenannte ultrastabile Gläser, also amorphe Feststoffe mit sehr hoher mechanischer Stabilität. Für praktische Anwendungen haben diese Systeme den Nachteil, dass sie in der Regel sehr spröde sind. Mit der Sprödigkeit und damit der starken Brüchigkeit einher geht die Bildung von stark lokalisierten Scherbändern: bandartigen Strukturen, in denen die Fließbewegung des Systems konzentriert ist. Die mikroskopischen Mechanismen der Scherbandbildung sind nicht gut verstanden, das Projekt mit Prof. Karmakar soll zur Aufklärung dieses Phänomens beitragen.
Prof. Horbach zum geplanten Forschungsprogramm: „Wir wollen gemeinsam Modelle und Computersimulationen entwickeln, um die mikroskopischen mechanischen Eigenschaften von glasartigen Substanzen besser zu verstehen. Die gewonnenen Informationen können für die praktische Entwicklung und Anwendung technischer Systeme in diesen Dimensionen eine wichtige Rolle spielen.“
Prof. Karmakar: „Die Ausweitung dieser Ideen auf Systeme mit aktiven Partikeln ist interessant, um zu verstehen, wie aktive Kräfte mit den anderen Kräften konkurrieren, die durch die äußere Belastung entstehen. Wir erwarten neuartige Phänomene, die noch nicht erforscht sind.“
Zur Person
Smarajit Karmakar (geb. 1980 in Bolpur/Indien) studierte Physik am Indian Institute of Science in Bangelore (Master 2004), wo er im Jahr 2008 auch mit der Arbeit „Numerical Studies of Slow Dynamics and Glass Transition in Model Liquids“ promovierte. Als Postdoc arbeitete er danach am Weizmann Institute in Rehovot/Israel und an der Universität La Sapienza in Rom, wo er mit Prof. Dr. Georgio Parisi (Physik-Nobelpreisträger von 2021) zusammenarbeitete. Seit 2012 ist er am Tata Institute of Fundamental Research in Hyderabad tätig, zunächst als Assistant Professor, ab 2018 als Associate Professor. Seit Mai 2022 forscht er an der HHU als Humboldt-Forschungsstipendiat am Institut für Theoretische Physik II.
Prof. Karmakar erforscht, unter anderem mithilfe von Computersimulationen, die Physik ungeordneter Systeme, insbesondere die dynamischen und mechanischen Eigenschaften von glasbildenden Systeme. Dabei interessiert ihn auch, was beim Übergang in einen amorphen Zustand auf mikroskopischer Ebene geschieht. Karmakar ist Autor und Koautor von bisher 69 Artikel in begutachteten wissenschaftlichen Zeitschrift, so in Physical Review, Frontiers in Physics, Soft Matter und PNAS.
Für seine Arbeiten wurde er verschiedenfach ausgezeichnet. Neben einem Preis für die beste Promotionsarbeit erhielt er verschiedenen Stipendien, zuletzt das Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Humboldt-Forschungsstipendium für erfahrene Wissenschaftler
Mit dieser Förderung unterstützt die Alexander von Humboldt-Stiftung überdurchschnittlich qualifizierte Forschende aus der ganzen Welt. Es erlaubt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Ausland, ein Forschungsvorhaben in Deutschland durchzuführen. Das Stipendium umfasst ein maximal 18-monatiges Stipendium, welches auf mehrere Aufenthalte auf insgesamt bis zu drei Jahren aufgeteilt werden kann.
Das Forschungsvorhaben wird zusammen mit einer wissenschaftlichen Gastgeberin oder einem Gastgeber an einer deutschen Forschungseinrichtung durchgeführt. Die Stipendiaten suchen sich den Kooperationspartner in Deutschland selber. Die Gewährung der Stipendien erfolgt ausschließlich anhand der wissenschaftlichen Qualifikation.
Weitere Informationen: Seiten der Humboldt-Stiftung