Zum Inhalt springenZur Suche springen

Corona: Schulschließungen und ihre Folgen

Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass entgangener Unterricht sich nicht nur im gleichen Schuljahr negativ auf das Abscheiden der Schüler in Prüfungen auswirkt, sondern das diese Effekte sich auch in der langen Frist fortsetzen. Während diese generelle Wirkungsweise unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext der Studie zu sein scheint, weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien stärker betroffen sind. Angesichts der Schulschließungen im Folge des COVID-19-Ausbruches, sollten Maßnahmen ergriffen werden, den Unterrichtsstoff nicht zu kürzen, sondern ihn in anderer Form (beispielsweise durch Home-Schooling) oder zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.

von Dr. Daniel Kamhöfer

Bei der aktuellen Debatte um durch COVID-19 bedingte Schließungen und Wiedereröffnungen von Schulen stehen häufig die Kinderbetreuung außerhalb der Schule sowie das Verschieben von Abschlussprüfungen im Mittelpunkt. Die Auswirkungen des Unterrichtsausfalles auf die Kinder dürfen dabei nicht vergessen werden. Wenn Kinder durch Abwesenheit in der Schule weniger Lernen, könnte das nicht nur ihre Versetzung gefährden, sondern sich auch noch Jahrzehnte später negativ auf ihre Arbeitsmarktchancen auswirken. Wir untersuchen die kurz- und langfristigen Folgen von Abwesenheit in der Schule empirisch.

Eine große Herausforderung ist es dabei, Personen über einen möglichst langen Zeitraum verfolgen zu können – je länger der Unterrichtsausfall zurückliegt, desto vollständiger können die Konsequenzen bestimmt werden. Um die Auswirkungen von Fehlzeiten in der Schule zu untersuchen, verwenden wir schwedische Daten, anders als beispielsweise bei deutschen Daten ermöglichen es Datenschutzbestimmungen dort, verschiedene Datenquallen miteinander zu verknüpfen. Die Fehltage der Schüler entnehmen wir aus (in Archiven aufbewahrten und uns digitalisierten) Grundschul-Klassenbüchern für eine repräsentative Stichprobe von Personen, die zwischen 1930 und 1935 geboren wurde. Einerseits ermöglichen Klassenbücher es uns die Wirkung von Abwesenheit in der Grundschule auf Testergebnisse im gleichen Schuljahr zu messen, um so den kurzfristen Effekt zu untersuchen. Andererseits erlauben Namen und Geburtsdaten der Schüler die Klassenbuch-Daten mit ihren Zensus- und Steuerdaten im Erwachsenenalter zu verknüpfen. So gelingt es uns, die Wirkung von Abwesenheit in der Grundschule in den 1930er Jahren auf den höchsten Bildungsabschluss der Personen, den Arbeitsmarktstatus (in den Jahren 1960 und 1970), das Arbeitsmarkteinkommen (1970) und das Renteneinkommen (ab 2003) zu untersuchen.

In der kurzen Frist finden wir, dass ein zusätzlicher Tag Abwesenheit die durchschnittliche Leistung in den Kernfächern (Lesen, Schreiben und Rechnen) um 0,4 Prozent einer Standardabweichung reduziert. Ordnet man die durchschnittlichen Leistungen von einhundert Schüler in absteigender Reihenfolge und betrachtet die durchschnittliche Anzahl der Fehltage, etwa 10 Tage pro Schuljahr, entspricht diese Effektgröße der Verschlechterung der Leistung um einen Rang. Hätte ein Schüler also ohne Fehltage Rang 50 von 100 erreicht, erreicht er mit zehn zusätzlichen Fehltagen nur noch Rang 51. Auffällig ist, dass der Effekt eines zusätzlichen Fehltages auf die Leistungen von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern (gemessen am Beruf des Vaters) stärker ist als bei Kindern aus sozial bessergestellten Familien. Die langfristigen Flogen der Abwesenheit in der Grundschule sind weniger stark ausgeprägt als die kurzfristigen Effekte. Obwohl die langfristigen Effekte eher klein sind – was aufgrund des langen Zeithorizonts nicht verwundert, so sind sie doch über alle Erfolgsindikatoren hinweg betrachtet konsistent negativ. Das weist drauf hin, dass sich die negativen Auswirkungen von entgangenen Unterricht für die Schüler nicht nur auf das Schuljahr der Abwesenheit beschränken, sondern auch im späteren Leben noch eine Rolle spielen.

Zwar basieren unsere Ergebnisse auf individuelle Fehlzeiten in der Schule, nicht ganze Schulschließungen, und die Untersuchung bewegt sich in einem anderen gesellschaftlichen Kontext, dennoch lassen sich einige Erkenntnisse für die aktuelle Debatte zu COVID-19-bedingten Unterrichtsausfällen ableiten. Ein Vergleich unserer Kurzfirst-Ergebnisse mit anderen Studien deutet drauf hin, dass sowohl der Kontext als auch die Art der Abwesenheit (individuell oder kollektiv durch Schulschließungen) keine große Rolle für die Größenordnung des betrachteten Effektes spielen (selbst Studien, die Kinder Anfang der 2000er Jahre in den USA betrachten, finden ähnliche Häufigkeiten und Effekte von Abwesenheit). Insofern liegt es nahe, dass sich auch aktuelle Schulschließungen langfristig auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Betroffenen auswirken. Dies sollte bei der aktuellen Debatte berücksichtigt werden.

DICE PUBLIKATION

Sarah Cattan, Daniel A. Kamhöfer, Martin Karlsson & Therese Nilsson (2017), The Short- and Long-Term Effects of Student Absence: Evidence from Sweden, IZA Discussion Paper No. 10995.

Kategorie/n: DICE-Meldung, Forschungkompakt
Verantwortlichkeit: