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Ein guter DEAL?

Im „Projekt DEAL“ haben alle deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre Verhandlungen mit den sehr großen Wissenschaftsverlagen gebündelt. Im Jahr 2019 konnten mit Springer und Wiley erste Abkommen geschlossen werden, die es Forscherinnen und Forschern deutscher Hochschulen und Forschungseinrichtungen deutlich erleichtern, in Zeitschriften dieser beiden Verlage open access zu publizieren. Wie haben sich diese Verträge auf das Publikationsverhalten ausgewirkt und was bedeuten sie für den Wettbewerb in der Forschung und im Publikationsmarkt?

von Benedikt Schmal

Es vergeht kaum ein Monat, in dem Forschende oder Verantwortliche an Hochschulen nicht die Kosten des Publizierens oder Veröffentlichungen hinter Bezahlschranken kritisieren. In Deutschland haben etwa zahlreiche Hochschulen ihre Journalpakete beim Elsevier-Verlag wegen der ausufernden Kosten gekündigt. In der Folge greifen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Diskussionspapieren und Preprints, kontaktieren die Autorinnen und Autoren oder greifen zu Raubrepositorien wie SciHub. Der kollektive Boykott von Elsevier durch die deutschen Hochschulen infolge der gescheiterten DEAL-Verhandlungen ist eine der jüngsten Wendungen im Dauerstreit über das akademische Publikationswesen. Dessen Wurzeln aber liegen tiefer. Schon 2001 hat Ted Bergstrom die Frage aufgeworfen, warum Forschende den kommerziellen Verlagen nicht nur ihre Beiträge unentgeltlich anbieten, sondern sogar die Peer Review-Tätigkeiten weitgehend kostenlos übernehmen, während umgekehrt die Universitäten viel Geld für den Bezug dieser Journale zahlen und die Verlage oft traumhafte Renditen erzielen.

DER MARKT FÜR FACHZEITSCHRIFTEN: ZWISCHEN TYRANNEI UND OPEN ACCESS

Fachzeitschriften sind wie viele andere Medienprodukte am besten als zweiseitige Märkte zu verstehen. Attraktiv ist ein Journal für Leserinnen und Leser, wenn es viele wichtige Artikel beinhaltet. Für Autorinnen und Autoren wiederum sind die Journale interessant, die von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stark rezipiert und viel zitiert werden, sodass die Autorinnen und Autoren ihr eigenes Renommee steigern können. Die Topjournale maximieren dabei die Partizipation auf beiden „Seiten“, wodurch vor allem in der VWL eine regelrechte „Tyrannei der Top 5“ entstanden ist. An diesen Journalen kommt kein Ökonom vorbei.

Traditionell hatten Fachzeitschriften zwei Kernfunktionen: Die Verbreitung neuer Forschungsergebnisse einerseits und die Signalfunktion für die Qualität eines Aufsatzes. Durch die Digitalisierung ist die erste Funktion, die Diffusion von Wissen durch Zeitschriften in der Ökonomik, weitgehend irrelevant geworden. Im Grunde sind alle wichtigen Aufsätze schon lange vor ihrem Erscheinen in einer Fachzeitschrift schon als Arbeitspapiere oder sog. Preprints über diverse Repositorien verfügbar. Geblieben ist die Funktion als Qualitätssignal. Letzteres ist für Bibliotheken, die die Zeitschriften beziehen, weniger relevant. Um dem Bedeutungsverlust zu begegnen, vertreiben die großen Wissenschaftsverlage ihre Journale in der Regel gebündelt in großen Paketen, welche die kaum verzichtbaren Topjournale der Disziplinen enthalten und dadurch nahezu unkündbar werden.

Ein bedeutender Trend im Publikationswesen ist Open Access, bei dem publizierte Artikel unabhängig von etwaigen Abonnements für alle frei verfügbar sind. Für Forschende ist Open Access interessant, weil der schrankenlose Zugang im Durchschnitt zu einer höheren Rezeption und mehr Zitationen führt.

MIT DEAL ERSTMALS AUF AUGENHÖHE MIT DEN GROSSEN WISSENSCHAFTSVERLAGEN

Das „Projekt DEAL“ (www.projekt-deal.de) hat das Ziel, diesen Herausforderungen im Publikationswesen zu begegnen. Indem es sämtliche Universitäten, Fachhochschulen und alle großen Forschungseinrichtungen Deutschlands vereint (u.a. Fraunhofer, Helmholtz, Leibniz, Max Planck), bündelt es die Einkaufsmacht von mehr als 700 Einzelinstitutionen. Im Namen all dieser Einrichtungen hat die Max Planck Digital Library (MPDL) mit den Verlagen Elsevier, Springer Nature und Wiley 2016 (Elsevier) bzw. 2017 Verhandlungen aufgenommen. Mit Elsevier scheiterten diese, was zum besagten Boykott führte. Jedoch schloss die MPDL Anfang 2019 einen „DEAL“ mit Wiley für die Jahre 2019 bis 2021. Ein Jahr später folgte der „DEAL“ mit Springer Nature, der die Jahre 2020 bis 2022 betrifft. Beide Verträge sind im Wesentlichen deckungsgleich und beinhalten einen „Publish“ und einen „Read“ Teil. Letzterer räumt den deutschen Institutionen weitreichenden Lesezugang zu nahezu allen Zeitschriftentiteln beider Verlage ein.

Der „Publish“-Part sorgt dafür, dass jeder Artikel direkt und dauerhaft als Open Access publiziert werden kann, sofern der einreichende Autor an einer deutschen Institution tätig ist. Dies gilt auch für Journale, die ansonsten abonnementbasiert sind (sog. Hybridjournale). Beispiele im Bereich der VWL sind das RAND Journal von Wiley oder Public Choice von Springer. Die Kosten für die Publikation und die Leseberechtigung für die Journalportfolien werden über eine Prozessgebühr von 2.750 Euro je veröffentlichtem Artikel an die Verlage abgegolten. Die Kosten für die Open Access-Publikation werden, anders als bisher, nicht mehr dem individuellen Budget des Forschenden oder seines Lehrstuhls oder Instituts angelastet. Für die einzelne Forscherin scheint die Open Access-Publikation somit „kostenlos“ zu sein.

DEAL-VERTRÄGE ERHÖHEN BEITRÄGE IN DARIN ABGEDECKTEN JOURNALS

In unserer empirischen Analyse betrachten wir das Publikationsverhalten von Forschenden aus der Chemie an deutschen Institutionen. Die Chemie eignet sich besonders als Untersuchungsobjekt, weil es eine vergleichsweise übersichtliche Disziplin in Bezug auf die Anzahl der Journale ist und weil der Zeitversatz zwischen Einreichung und Publikation deutlich geringer ist als beispielsweise in der VWL oder anderen Sozialwissenschaften.

Unsere Analyse zeigt, dass sich im Zuge der DEAL Verträge von Wiley und Springer Nature das Publikationsverhalten von Forschenden in der Chemie an deutschen Hochschulen signifikant in Richtung der beiden Verlage verschoben hat. Dazu haben wir rund 1.000 Chemie-Fachzeitschriften analysiert. Das umfasst alle Publikationen mit einem Mindestmaß an Relevanz in der Chemie. Für diese haben wir die bibliographischen Daten jedes einzelnen Artikels für die Jahre 2016 bis 2020 abgerufen. Bereinigt führt das zu rund einer Million Beobachtungen in Form von Journalpublikationen. Wir nutzen einen Differenz-in-Differenzen-Ansatz mit einem heteroskedastischen Probit-Modell, wobei die Heteroskedastie aus der unterschiedlichen Reputation der Journale resultiert. Das Modell schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Paper in einem Journal erscheint, das von den „DEAL“-Verträgen abgedeckt ist. Weiterhin kontrollieren wir für Zeit- und Ländereffekte, um den Effekt der DEAL-Verträge zu isolieren. Bereits der Blick auf die Rohdaten zeigt einen Unterscheid auf. Die vom DEAL betroffene „Treatmentgruppe“ sind Forschende mit deutscher Affiliation.

Anteil an in DEAL-Journalen publizierter Arbeiten, 2016 bis 2020

Nach Abschluss der DEAL-Verträge haben deutsche Forschende fast 35 % ihrer Arbeiten in „DEAL-Journalen“ publiziert, zuvor waren es rund 30%. Auch bei Forschenden außerhalb Deutschlands ist ein positiver Trend festzustellen, jedoch ist dieser bei Forschenden deutscher Unis deutlich stärker ausgeprägt, wie Tabelle 1 zeigt.

Marginale Effekte auf Publikation in DEAL-Journalen

Abbildung 1 zeigt die marginalen Effekte hin zu DEAL-Journals für die verschiedenen DEAL-Phasen: Phase 1 beginnt mit Stichtag 1. Juli 2019, an dem die Wiley Hybridzeitschriften Teil des DEALs wurden.. Ab dem 1. Januar 2020 waren Springer Nature Hybridzeitschriften inkludiert. In Phase 3 seit dem 1. August 2020 fielen auch die Full Open Access Journals von Springer Nature unter die Open Access Konditionen des DEAL. Die marginalen Effekte betragen 3.6 – 3.7 %. Das bedeutet, dass es bereits in der kurzen Zeit seit der Einführung des DEAL eine signifikante Bewegung hin zu Journals gab, die unter diese Rahmenverträge fallen. Während wir keinen ansteigenden Trend feststellen können, halten wir es trotzdem für möglich, dass die Effekte noch Fahrt aufnehmen und im weiteren Zeitverlauf nochmals deutlicher werden, da auch in der Chemie der Zeitversatz zwischen Einreichung eines Papiers und Veröffentlichung einige Monate vergehen.

WAS BEDEUTET DEAL FÜR DEN WETTBEWERB AUF DEM AKADEMISCHEN PUBLIKATIONSMARKT?

Die Bündelung von Einkaufsmacht auf der Käuferseite aus rund 700 Institutionen ist ein großer Schritt. Zwar gab es auch schon „DEAL“-Verträge in anderen Ländern mit Hochschulbündnissen, doch bisher kam kein Vertrag an die Käufermacht des deutschen DEAL-Konsortiums heran. Diese Größe scheint aber auch ein Hindernis zu sein. Kleinere Verlagshäuser wie de Gruyter oder Mohr Siebeck beklagen, gar nicht erst an den Verhandlungstisch geladen zu werden. Die Komplexität mehrjähriger Verhandlungen scheint eine gewisse Verlagsgröße zu erfordern. Allerdings fürchten wir durch die Beliebtheit der DEAL-Konditionen und den Ausschluss kleiner Verlagshäuser eine weitere Konzentration auf dem akademischen Publikationsmarkt. Damit hätten auch die Verhandlerinnen und Verhandler seitens der Forschenden in zukünftigen DEAL-Runden weniger Ausweichmöglichkeiten und die großen Wissenschaftsverlage weitere Verhandlungsmacht. Leidtragende der DEAL-Verträge könnten auch die Verlagsaktivitäten vieler Universitäten und Forschungsgesellschaften werden. Gerade diese Organisationen operieren allerdings in der Regel ohne Gewinnerzielungsabsicht und sind einige der wenigen verbliebenen Akteure, die in den vergangenen Jahren nicht an den Preisschrauben gedreht haben.

Wir sind deshalb zwiegespalten, was den Effekt der DEAL-Verträge betrifft. Erstmals ist es gelungen, den stetigen Rentenabschöpfungen der (kommerziellen) Verlage eine nennenswerte Verhandlungsmacht auf Käuferseite entgegenzusetzen. Das gewählte Finanzierungsmodell könnte allerdings nach Ablauf der ersten Vertragsperiode forschungsstarke Institutionen indirekt bestrafen. Außerdem deutet sich eine weitere Konzentration auf dem Markt an, was mittel- bis langfristig die Verhandlungsmacht der Konsortien erneut beschneiden und die Preise treiben dürfte.

Dieser Beitrag wurde auch im DICE Policy Brief veröffentlicht.

DICE PUBLIKATION

Justus Haucap, Nima Moshgbar & W. Benedikt Schmal (2021). The impact of the German ‚DEAL‘ on competition in the academic publishing market. Managerial and Decision Economics, 42( 8), 2027 – 2049. doi.org/10.1002/mde.3493.

Kategorie/n: DICE-Meldung, Forschungkompakt
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