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Von der wirtschaftlichen Rezession in die psychische Depression?

Der gesellschaftliche Lockdown hat die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie um eine „Corona-Rezession“ verschärft. Eine neue DICE-Studie legt nahe, dass diese Wirtschaftskrise unabhängig von den anderen Konsequenzen der Pandemie negative Folgen für die mentale Gesundheit der Deutschen hat. Die Angst vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen ist dabei bedeutsamer als die tatsächlichen Auswirkungen der Krise auf das eigene Einkommen und den Arbeitsplatz.

von Dr. Daniel Kamhöfer

Wie kann man die Ausbreitung des Corona-Virus stoppen und die körperliche Gesundheit vieler Menschen schützen? Diese Frage steht weltweit im Mittelpunkt zahlreicher Debatten. Zu kurz kommt dabei allerdings oft, dass das Virus neben den körperlichen Symptomen auch andere indirekte Krankheiten auslösen kann. Die Angst sich zu infizieren, aber auch die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und das zukünftige wirtschaftliche Wohlergehen in Folge von Lockdowns führen bei vielen Menschen zu existenziellen Sorgen und Leid. Dies kann wiederum mentale Erkrankungen – von gedrückter Stimmung über Depressionen bis hin zu Angststörungen – verursachen. In unserer Studie haben wir anhand vergangener Rezessionen untersucht, ob wirtschaftliche Schwankungen mit schlechterem mentalen Wohlbefinden einhergehen.

Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen weltweit. Über ein Drittel aller diagnostizierten Erkrankungen in Industrienationen ist mentaler Natur. Dabei sind mentale Erkrankungen eng verbunden mit körperlichen Leiden, beispielsweise hervorgerufen durch Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum. Der britische Ökonom Richard Layard hat vorgerechnet, dass jeder Euro, der zur Behandlung von mentalen Erkrankungen eingesetzt wird, zwei Euro an anderer Stelle wieder einspart, etwa durch geringere Sozialleistungen und bessere physische Gesundheit. Trotz dieser Hebelwirkung und dem großen Einsparpotenzial sind die Therapiemöglichkeiten mentaler Leiden allerdings bisher deutlich weniger umfangreich, als dies bei physischen Erkrankungen der Fall ist. Umso wichtiger ist zu erkennen, warum Menschen mental erkranken.

Um den Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und mentaler Gesundheit besser zu verstehen, haben wir Konjunkturschwankungen von 2000 bis 2016 untersucht. Da die gegenwärtige Pandemie die mentale Gesundheit nicht nur durch die wirtschaftliche Lage beeinflusst, sondern auch durch die Angst vor Ansteckung und durch soziale Isolation, eignet sich die Corona-Rezession selbst nicht für die Untersuchung. Abbildung 1 legt aber nahe, dass die wirtschaftliche Entwicklung während der ersten Corona-Welle durchaus mit anderen Wirtschaftskrisen vergleichbar ist. Die Abbildung zeigt die jährlichen Änderungen der Bruttowertschöpfung nach Branchen in Deutschland. Die Bruttowertschöpfung ist der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr in der jeweiligen Branche hergestellt und angeboten werden. Die Summe über alle Branchen entspricht dem bekannteren Bruttoinlandsprodukt. Die Gesamtproduktion (dargestellt in rot) ist in den ersten beiden Quartalen 2020 um etwa 5 % verglichen zu den Vorjahresquartalen eingebrochen. Diese Größenordnung entspricht in etwa dem Einbruch während der Finanzkrise 2009. Der Produktionseinbruch hängt dabei stark von der betrachteten Branche ab. Das verarbeitende Gewerbe, das exportstarke Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie und den Maschinenbau umfasst, weist stärkere Ausschläge auf. Die im öffentlichen Dienst erbrachte Wertschöpfung, dazu zählen z. B. Lehrer- und Polizeigehälter, ist im Gegensatz dazu relativ konstant.

Wir nutzen diese Schwankungen in der Wirtschaftsleistung für unsere Untersuchung. Neben den Daten zur Wirtschaftsentwicklung verwenden wir zudem repräsentative Befragungsdaten aus dem Sozio-ökonomischen Panel – Deutschlands
ältester, wiederholter Befragung von derzeit etwa 14.000 Haushalten pro Jahr. Inwieweit die Befragten von Schwankungen in der Wirtschaft betroffen sind, ergibt sich aus ihrem Beruf sowie der Branche, in der sie arbeiten. Die Daten enthalten darüber hinaus zwei Maße für mentale Beschwerden. Zum einen bewerten die Befragten, wie zufrieden sie insgesamt mit ihrem Leben sind. Die möglichen Antworten reichen von 0 („gar nicht zufrieden“) bis 10 („sehr zufrieden“). Dieses Maß kann als eine Art Frühwarnindikator für mentale Probleme betrachtet werden. Daneben verwenden wir ein direkteres Maß, um mentale Gesundheitsprobleme zu messen, den „Mental Health Summary Score“. Dieser Score leitet sich aus zwölf Fragen zu körperlichen und mentalen Beschwerden ab und ist ein in der Gesundheitswissenschaft weit verbreitetes Maß. Anders als beispielsweise klinische Diagnosen haben unsere beiden Maße den Vorteil, dass sie bereits kleine Änderungen in der mentalen Gesundheit erfassen.

Abbildung 2 setzt die beiden Maße für mentale Gesundheit ins Verhältnis zur jährlichen Änderung der Wirtschaftsleistung. Dazu bringen wir zuerst Lebenszufriedenheit und den Mental Health Score auf die gleiche Skala, um ihre Entwicklung so vergleichbar zu machen. Wir setzen den Durchschnitt auf null und die Standardabweichung, ein Maß für die Streuung, auf eins. Jeder Kreis der Abbildung gibt eine der beobachteten Kombinationen von Produktionsänderung und mentalem Gesundheitsmaß
wieder. Desto größer der Kreis, umso mehr Personen arbeiten in der Branche, auf die sich die Produktionsänderung bezieht. Die roten Trends in Abbildung 2 geben die durchschnittliche Änderung von Lebenszufriedenheit und Mental Health Score pro Ein-Prozentpunkt-Anstieg der Bruttowertschöpfung an. Steigt die Bruttowertschöpfung um einen Prozentpunkt, also beispielsweise um vier statt um drei Prozent, nimmt die Lebenszufriedenheit um durchschnittlich 1,6 % einer Standardabweichung zu. Für den Mental Health Score beträgt diese Zunahme 1,5 %. Fällt die Produktion also um etwa 20 Prozentpunkte, wie beim verarbeitenden Gewerbe während der Finanzkrise 2009, sinken Lebenszufriedenheit und Mental Health Score um etwa 30 % einer Standardabweichung. Diese Effektgröße lässt sich anhand einer Rangliste veranschaulichen. Die Rangliste reicht von 1 (die zufriedenste Person) bis 100 (die unzufriedenste Person). Angenommen eine Person, die im verarbeitenden Gewerbe arbeitet, lag 2008 in der Mitte der Rangliste auf Rang 50. Würde die Wirtschaftskrise nur diese Person betreffen, läge sie 2009 nur noch auf Rang 60. Die Ergebnisse weisen also darauf hin, dass wirtschaftliche Rezessionen mit einer schlechteren mentalen Gesundheit einhergehen.

Dieser Befund hält auch dann, wenn wir die Anzahl der klinisch diagnostizierten Depression als „härteres“ Maß für mentale Gesundheit verwenden. Selbst ein statistisches Verfahren, das berücksichtigt, dass Personen angesichts von Wirtschaftskrisen die Branche wechseln oder gar innerhalb Deutschlands in weniger stark betroffene Regionen ziehen,  ändert das Ergebnis nicht. Unsere Untersuchung weist darauf hin, dass Ängste um die zukünftige wirtschaftliche Lage eine entscheidende Rolle spielen. Durch die Finanzkrise  haben beispielsweise dank Kurzarbeit und anderer Maßnahmen nur relativ wenige Menschen tatsächlich ihren Job verloren. Die Anzahl der Personen, die Angst um ihren Job hatten, war allerdings viel größer. Die erwarteten wirtschaftlichen Einschränkungen wiegen schwerer als die tatsächlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise.

Fazit

Übertragen auf die Corona-Rezession weisen unsere Ergebnisse darauf hin, dass neben den direkten Folgen des Virus die Gesundheit auch indirekt durch die schlechtere Wirtschaftsentwicklung leidet. Ein Hoffnungsschimmer ist, dass die erwartete wirtschaftliche Situation wichtiger für die mentale Gesundheit ist als die tatsächlichen Auswirkungen. Eine Politik, der es gelingt, wirtschaftliche Existenzängste im Angesicht einer Rezession zu mindern, kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, mentale Folgen für die Bevölkerung abzufedern. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung gleich zu Beginn der Krise medienwirksam angekündigt hat, große Hilfspakete für die Wirtschaft bereit zu stellen. Ein Beispiel dafür ist vielbeachtete Pressekonferenz von Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz im März 2020. Die Ankündigung, „die Bazooka rauszuholen“, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen, führt auch zu einem psychologischen Gegensteuern gegen die Krise.

Dieser Beitrag wurde auch im DICE Policy Brief veröffentlicht.

DICE PUBLIKATION

Daniel Avdic, Sonja C. de New & Daniel Kamhöfer, (2020) : Economic downturns and mental wellbeing, DICE Discussion Paper, No. 337, online verfügbar unter: ideas.repec.org/p/zbw/dicedp/337.html

Kategorie/n: DICE-Meldung, Forschungkompakt
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